14.04.2008

Hintergrund: Samihs Heimat vor sozialer Explosion?

Wie steht es eigentlich mit dem Land, aus dem Samih Sawiris stammt? Nicht gut. Eine Welle von Streiks und Demonstrationen schwappt derzeit durch Ägypten.

Zweifellos: Samih Sawiris soziales Engagement in seiner Heimat ist unumstritten. Dennoch, die aktuelle Lage in Ägypten dürfte ihm wehtun. Aufgebrachte Demonstranten, brennende Geschäfte und Schulen, mit Schlagstöcken und Gewehren bewaffnete Sicherheitskräfte. Resultat: Mindestens zwei Tote, mehrere Dutzend Verletzte und 300 Verhaftete lautete die Bilanz kürzlich nach zwei Tagen sozialer Proteste in der Industriestadt Mahalla.

Stimmungsbarometer Textilarbeiter
Die staatliche Textilfabrik in der Deltastadt Mahalla, 120 km nördlich von Kairo, mit ihren 25000 Arbeiterinnen und Arbeitern ist zum nationalen Stimmungsbarometer Ägyptens geworden. Seit bald zwei Jahren brodelt es dort. In diesen Tagen konnte die Regierung Mubarak einen Streik mit Bonuszahlungen zwar vermeiden. Aber die Arbeiter von Mahalla fordern nicht nur mehr Geld. Sie wollen freie Gewerkschaften gründen und ihre Grundrechte ausüben dürfen. Dazu gehört auch Kritik am Präsidenten.

Arbeitskampf erreicht Mittelschicht
Die Zahl der unzufriedenen Ägypter steigt. Bereits folgen andere soziale Schichten den Protestaktionen der Textilarbeiter. Steuereintreiber, Eisenbahnangestellte und zum ersten Mal auch die Professoren der Universitäten haben mit Streiks für bessere Löhne gekämpft. Eine geplante Arbeitsniederlegung der Ärzte hat die Regierung mit massiven Drohungen unterbunden. Ebenso wie einen Generalstreik unter dem Motto „Tag des Zorns“. Tatsache ist aber: In Ägypten ist der Arbeitskampf in der einst traditionellen Mittelschicht angekommen.

Vier von zehn Ägyptern verarmt
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Ägypten immer weiter auseinander. Nur wenige profitieren vom wirtschaftlichen Aufschwung. Grosse Teile der Bevölkerung kommen kaum mehr über die Runden. 40 Prozent der Ägypter leben an oder unter der Armutsgrenze. Die anziehende Inflation und v.a. die rasant steigenden Lebensmittelpreise haben diese Entwicklung in den letzten Monaten dramatisch verschärft. Die Gründe für die soziale Kluft sind vielfältig: teilweise hausgemacht, andere von den Weltmärkten bestimmt. In einem Land wie Ägypten, wo das Gros der Familien über die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgibt, fallen steigende Preise für Brot, Reis, Teigwaren und Kartoffeln besonders ins Gewicht.

Preisabsprachen und Korruption
Die Wut und der Frust, die sich am Nil angestaut haben, rühren auch von einer Wirtschaftspolitik, die v.a. aus Einzelmassnahmen besteht und kaum sozial abgefedert ist. In vielen Branchen gibt es Preisabsprachen und dementsprechend Geschäftsleute, die riesige Monopolgewinne einstecken. Zudem hat die Korruption epidemische Ausmasse erreicht.

Das Regime hat Angst
Hosni Mubarak und sein Regime haben offensichtlich Angst vor der zunehmenden Unzufriedenheit des ägyptischen Volkes. Reagiert wird mit Repressionen, einer Wahlfarce und mit einem Massnahmenpaket, die den Präsidenten als Retter in der Not ausweisen sollen. Hosni Mubarak hat per Dekret die Armee aufgeboten, um die Brotkrise zu lösen. Zudem hat er die Regierung angewiesen, die Beamtenlöhne zu erhöhen. Last but not least hat er lebenswichtige Güter von den Importzöllen befreit. Aber: Politische Aktivisten und Mitglieder der Zivilgesellschaft wurden gleichzeitig eingeschüchtert und viele von ihnen verhaftet – unter ihnen mehrere Blogger und führende Vertreter der Demokratiebewegung „Kifaya“ (übersetzt: genug). Es sieht so aus, als versucht das gegenwärtige Regime mit allen Mitteln sein Überleben und sein Machtmonopol zu sichern.

Immer weitere Kreise
Tatsache ist, dass die Proteste immer weitere Kreise ziehen. Sie haben mittlerweile ein Ausmass erreicht wie seit 30 Jahren nicht mehr. Schon oft hatte man am Nil den Eindruck, eine soziale Explosion stehe unmittelbar bevor. Mubarak und seine Regierung haben es aber stets verstanden, den Sturm auszusitzen. Diesmal haben die Proteste nach Meinung verschiedener Medien jedoch eine neue Qualität. Sie sind zu einer Herausforderung für die Legitimität des Regimes von Mubarak geworden – und damit haben in Kairo ungewisse Zeiten begonnen.


Brot wird knapp in Ägypten (Youtube-Video)

Bild: Protestierende in Mahalla (Quelle: Middle East online)

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Aha, jetzt wird doch einiges klar. Euer grossherziger Investor baut sich seine Ersatzheimat im sicheren Hafen der Schweiz. Ein kleines Paradies im engen Urserental. Ein Luxusréduit des dritten Jahrtausends. Da kann er sich dann gemütlich zurückziehen, wenn das Fass in Ägypten übergelaufen ist.

admin hat gesagt…

Ganz so einfach sehe ich die Sache nicht.
Wenn er das wirklich wollte, warum sollte er sich dann ausgerechnet das Urserental aussuchen?
Das könnte er doch auch in London in einer Luxussuite tun?

Anonym hat gesagt…

Lieber ralff, die Schweiz ist sicher, die CH-Wirtschaft stabil, geografisch liest sie mitten in Europa, die (Unternehmens)-Stuern liegen tief, die EU-Reglemente tangieren uns nicht so stark - und unsere wunderbare Landschaft dürfte auch noch ein Argument sein.

admin hat gesagt…

Die Schweiz bietet sicherliche grosse Anreize für einen Investor, keine Frage.
Ägypten hat wieder einmal mehr Probleme als auch schon, auch keine Frage.
Sich aus diesen beiden Facts zusammenzureimen, dass sich Herr Sawiris im Urserental eine Ersatzheimat schaffen wolle, bevor das Fass in Ägypten überlaufe, halte ich für falsch. Herr Sawiris hat ja auch ganz klar gesagt, dass er nicht gedenke, in die Schweiz zu übersiedeln.
Es stört mich, wenn der Eindruck erweckt wird, Geld sei das einzige, was man bräuchte, um in Andermatt ein Resort zu bauen.
Am Anfang war nämlich nicht Geld.
Am Anfang war eine Vision.
Eine Vision, die kein Schweizer Investor gehabt hat. Es musste ein Mann aus Ägypten kommen um diese Vision zu haben. Dass das Vorhaben jetzt auch noch erfolgreich ist, wurmt natürlich einige Leute.

gabtherad hat gesagt…

Ich gehe einig mit ralff. Sawiris übrigens sehr viel für die Armen in Ägypten. Ich hab gelesen, dass er derzeit in der Nähe von Kairo eine ganze Stadt auf die Beine stellt, für Leute mit geringem Einkommen. In den nächsten 3 Jahren sollen dort 350'000 Menschen leben. Der Mann hat ein gutes Herz. Und wenn man seine Verhandlungspartner im Uri so hört, hat er sich bis heute immer sehr korrekt und fair verhalten. Fragt z.B. die Bauern, die mit ihm Landverkäufe verhandelten. Gruss vom verschneiten Berg!